Newsletter

NEWSLETTER
 
Neues aus dem Referat Förderschule
August 2024
 
von Ulrich Jung - RPZ Heilsbronn am 21. August 2024
 
 
Liebe Kolleg:innen
 
In diesem Newsletter möchte ich nur einige Gedanken zum Umgang mit biblischen Texten weitergeben. Ein Newsletter in gewohnter Form folgt demnächst.

Gerade im schulischen Alltag, aber auch in Unterrichtsentwürfen und Schulbüchern, werden eingefahrene Deutungen biblischer Erzählungen immer wieder reproduziert, obwohl sie oft kritisch zu sehen sind oder zumindest einer Ergänzung bedürften. Dabei ist grundsätzlich auch zu bedenken, dass die biblischen Texte viele Jahre später verfasste Berichte sind, die jeweils mit ganz bestimmten Beweggründen geschrieben wurden. Bezogen auf die Texte des NT formuliert Klaas Huizing: "Wir haben keinen Dokumentarfilm von Jesus und die Texte sind keine historischen Dokumente, sondern exzellente Literatur. Sie und ich sind auf die poetische Gestaltungskraft der Autoren verwiesen, die eine bestimmte Atmosphäre, die dieser Jesus transportiert hat, wiederum in Szenen verdichtet haben." (Huizing S. 363)
Anhand der Geschichte von Zachäus und der Dämonengeschichten möchte ich dazu anregen, sich immer wieder gemeinsam mit Schüler:innen und Kolleg:innen neu auf die Suche nach der Wahrheit in und hinter den Texten zu machen.

Die bestens bekannte Geschichte von Zachäus kann man auch ganz anders deuten, als es meist geschieht (vgl. Nickel). Man kann Zachäus auch als einen verantwortungsvollen Zollbeamten sehen, der zudem überaus großzügig von seinem guten Einkommen die Armen unterstützt und selbstverständlich bereit ist, für Falschberechnungen gerade zu stehen. In Lk 19,8 wird beschrieben, wie Zachäus bereits handelt und nicht, wie er in Zukunft zu handeln beabsichtigt. Es geht also keineswegs um die so gerne strapazierte Umkehr eines Sünders, sondern vielmehr um eine Gesellschaft, die einen Bürger wegen seines unbeliebten Berufs ausschließt. Er und seine gesamte Familie werden als Sünder geächtet und ihnen wird ein Leben als Jüd:innen verwehrt. Die Worte Jesu (Lk 19,9-10), dass diesem Haus Heil geschenkt wurde und er gekommen ist, um zu suchen und zu retten, was verloren ist, beziehen sich also keineswegs darauf, einen Sünder zu bekehren. Vielmehr steht Jesus einem angeblichen Sünder bei und bestärkt ihn in seinem Wunsch nach Gemeinschaft. Die Geschichte erzählt also von einem Zusammentreffen von Jesus "[...] mit jemandem, der willens war, über das Normalmaß hinaus (!) Gutes zu tun. Und der – wie Jesus – die Gemeinschaft mit anderen suchte, aber als Sünder diffamiert scheiterte." (Nickel S. 32). Plötzlich stellt der Text ganz andere Fragen an die Rezipient:innen: Während man sich bei der gängigen Deutung mit gutem Gefühl neben Jesus stellen und wie er großmütig auf die Sünder herabblicken kann, fragt diese Deutung, ob ich mich als Christ:in auch neben Jesus stellen (gemeinsam mit Zachäus) und die Ablehnung ertragen will?

Im Folgenden gehe ich noch auf die oft als sperrigen empfundenen Dämonengeschichten der Bibel ein (vgl. Sutter Rehmann). Die Texte der Evangelien entstanden nach dem jüdisch-römischen Krieg, in dem das Land zerstört wurde und die Bevölkerung grausamste Leiden erfuhr. In Lk 8,2 werden Frauen erwähnt, die von üblen und schwächenden Geistkräften geheilt worden waren. Im historischen Kontext kommt hier die weibliche Zivilbevölkerung in den Blick, die besonders Leidtragende der Gewalt war. Wenn die erfahrene Gewalt jegliche Sprache übersteigt, kann es hilfreich sein, von Dämonen zu sprechen. Wie aktuell dies ist, zeigen täglich Bilder in den Nachrichten. Das erfahrene Leiden macht stumm und sprachlos. Die Dämonenerzählungen berichten von Begegnungen mit trauernden und traumatisierten Menschen, denen es die Sprache verschlagen hat, und sie bergen einen Hoffnungsschimmer – sie wurden geheilt. Indem man sich auf die Bildhaftigkeit der Sprache einlässt, werden Interpretationsräume der Texte geöffnet. Sie fordern zur Empathie aber auch zum Kampf gegen die menschengemachten "Dämonen" heraus.

Herzliche Grüße,
Ulrich Jung


Verwendete Literatur:
- Huizing, Klaas (2022): Lebenslehre. Eine Theologie für das 21. Jahrhundert, München.
- Nickel, Veronika (2024): Ein Lichtblick für alle. In: Dein Wort Mein Weg. Zeitschrift für Bibel im Alltag, 17. Jahrgang, Heft 2-2024, S.30-32.
- Sutter Rehmann, Luzia (2024): Die Dämonengeschichten der Bibel – gelesen auf dem Hintergrund von Krieg, Vertreibung und Trauma. In: Dein Wort Mein Weg. Zeitschrift für Bibel im Alltag, 17. Jahrgang, Heft 2-2024, S.22-24.
(Weitere Bücher von Frau Sutter Rehmann: https://www.luziasutterrehmann.ch)
 

Der Newsletter Förderschulen wird herausgegeben von Ulrich Jung, Referat Förderschulen, Religionspädagogisches Zentrum Heilsbronn, Abteigasse 7, 91560 Heilsbronn.
E-Mail: ulrich.jung@rpz-heilsbronn.de, Web: foerderschule.rpz-heilsbronn.de