Inspirationen

Spirituelle Impulse und Worte zum Nachdenken, geschrieben und gestaltet von Mitarbeitenden des RPZ, jeden Monat neu.

Elfchen-Gedichte zum Advent

Advent -
erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier,
dann fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf.
Aus ELF Wörtern besteht ein Elfchen.
ELFchen-Gedanken zum Advent möchte ich mit euch teilen.
Ich habe begonnen, Advents-Gedichte in Form von Elfchen zu schreiben.
Ihr findet sie auf einer digitalen Pinwand (TaskCard)
und könnt dort eure eigenen Elfchen hineinschreiben.
Zum 1. Advent, zu Nikolaus, zu den Tagen dazwischen, zum 2. Advent
und so weiter bis Neujahr.

Habt ihr Lust, miteinander zu teilen,
was uns dieses Jahr im Advent bewegt?

Mein Elfchen zum 1. Advent zum Beispiel ist dieses:

advent
heuer kürzer
schneller ist heiligabend
ich vermisse eine Woche
zeitlassen

Elfchen sind Gedichte aus 11 Wörtern in 4 Zeilen: 
1. Zeile – 1 Wort: ein Nomen 
2. Zeile – 2 Wörter: nennen etwas, das zu dem Nomen gehört 
3. Zeile – 3 Wörter: beschreiben "das" aus Zeile 2
4. Zeile – 4 Wörter: Der:Die Autor:in des Elfchens schreibt etwas zu sich im Zusammenhang des bisher Geschriebenen
5. Zeile – 1 Wort: Abschlusswort

Beteiligen und anregen lassen könnt ihr euch auf dieser digitalen Pinwand:

Zur digitalen Pinnwand

Ich freue mich auf dein(e) Elfchen,
Claudia Dürr

November 2023

"Frostschutz - Frustschutz"

Jetzt ist Frostschutz angesagt: Das Häuschen winterfest machen, die Gartenmöbel in den Keller schleppen, empfindliche Pflanzen schützen, Winterreifen aufziehen (lassen) und den E-Bike-Akku ins Haus bringen. Dann kann der Winter kommen – dank Frostschutz!

Wenn es doch auch so einfach wäre, sich mit einem Frustschutz zu umhüllen! Denn gerade in der kalten lichtarmen Jahreszeit verfliegt die sommerliche Leichtigkeit schnell und die Stimmung sinkt ...

Es gibt ja auch so vieles, was uns frustrieren kann. Ein kurzer Blick in die Tagesschau reicht oft schon, um Gefühle der Resignation zu reaktivieren! Wie etwa: "Was nützen alle unsere pädagogischen Bemühungen, wenn die Menschheit offensichtlich gar nicht lernfähig ist?"

Es ist generell enttäuschend, wenn unsere Bemühungen in dem einen oder anderen Bereich scheinbar nur wenig Erfolg haben, wenn nichts vorangeht oder nichts besser wird. Vielleicht hadern wir auch damit, dass etwas nie wieder so sein wird, wie es einmal war oder wie wir es doch so gerne hätten. Frustrationen resultieren oft auch aus Enttäuschungen über andere oder aus dem Gefühl, nicht handlungsfähig zu sein, sondern einer unguten Situation irgendwie ohnmächtig ausgeliefert.

Was kann uns helfen, wenn wir Frustrierendes erleben?

Manchmal genügt es, einfach darüber zu schlafen und die Welt sieht am nächsten Tag schon wieder ganz anders aus. Vielleicht ist einfach nur etwas mehr Gelassenheit und Geduld nötig und dann stellt sich das Ersehnte schon noch auf die eine oder andere Weise ein.

Was aber, wenn sich an der Situation wohl nichts ändern wird oder jedenfalls nicht so schnell? Was kann da helfen, nicht zu resignieren?

Hilfreich ist es sicher, ein bisschen Abstand zu gewinnen und einen Blick quasi von außen auf die ganze Sache zu werfen. Manchmal komme ich im Gespräch mit anderen oder im eigenen Abwägen unterschiedlicher Perspektiven zu einem solchen neuen Blick. Dabei hilft mir auch folgendes Gebet:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann
und die Weisheit, das Eine vom Anderen zu unterscheiden.

Nach so einem Gebet klärt sich oft die Situation und es wird deutlicher, was jetzt dran ist, wo ich mit neuem Schwung und vielleicht zusammen mit Mitstreiter*innen mutig Veränderungen angehen kann. Oder aber auch, wo ich meine Erwartungshaltung hinterfragen, Ansprüche reduzieren oder Vorstellungen vielleicht sogar ganz loslassen muss, damit Neues, das ja nicht unbedingt schlechter sein muss, wachsen kann!

Vom Erntedankfest her kommend, erinnere ich mich, dass es sich lohnt, achtsam und aufmerksam zu werden für das, was Gott uns alles Erfreuliches schenkt, Tag für Tag. Es ist für mich eine gute geistliche Übung, wenn ich abends eine Bilanz des vergangenen Tages ziehe, an Schönes und Gelungenes denke und mir vergegenwärtige, wofür ich Gott alles danken kann. Lobe den Herrn, meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat! (Ps. 103,2)

An das Gute zu denken und Gott dafür zu danken, dies schenkt unserer Seele einen guten Frustschutz, der auch größeren Belastungen standhält.

So kann der Winter kommen, der ja auch seine schönen Seiten hat!

Dass wir im Vertrauen auf Gott auch der kalten Jahreszeit froh und gelassen entgegensehen können, wünsche ich uns allen!

Ihre
Gudrun Wellhöfer
Regionalstelle Oberfranken

Oktober 2023

Erntedank

Für meinen Sohn war das als Kind ganz klar: die letzten Karotten, die er im Frühjahr gesät hat, bleiben bis zu Erntedank im Beet, damit sie dann ganz bewusst auf den Altar gelegt werden können. Es ist schön zu sehen, wie sehr dieser eigentlich doch so landwirtschaftliche Aspekt des Erntedankfestes selbst bei Stadtkindern verwurzelt ist.

Erntedank.

Und für uns Erwachsene? Wie erleben wir das?

Sicherlich gibt es die einen oder anderen, bei denen die eigene Liebe zum Garten gleich angerührt wird: Ja, auch Sie haben etwas gesät, gehegt und gepflegt, es wachsen lassen und umsorgt, bis Sie es ernten konnten. Für viele ist der Geschmack von eigens angebauten Obst oder Gemüse unübertroffen. Das Gute schmecken – die Güte schmecken in dem Bewusstsein, dass Wachsen und Gedeihen eben doch nicht nur in unserer Hand liegt.

Erntedank.

Wahrscheinlich gibt es aber auch viele wie mich, die das Gärtnern nicht in die Wiege gelegt bekommen haben oder jetzt einfach nicht (mehr) die Möglichkeit dazu haben. Und dennoch sehe ich viel, was geerntet wurde und geerntet wird: Ein fruchtbares Gespräch; eine Begegnung, die mich bereichert oder sogar weiterbringt; der gelungene Abschluss eines Projektes; die unverhoffte Hilfe. Geschmack des Guten – Geschmack der Güte auch hier!

Erntedank.

Dabei wird mir immer mehr bewusst, wieviel ich ernte, ohne gesät zu haben. – Und: wieviel gesät wurde, und noch lange nicht reif ist für die Ernte! Am deutlichsten merke ich das bei den Schülerinnen und Schülern. Wir leben von dem, was die einen angefangen haben, was andere verändert haben, was nun immer weiter wächst. Was dabei am Ende rauskommt? Und ob etwas am Ende entsteht? Wir wissen es nicht – egal wie alt wir sind. Wir hoffen es. Manches von dem, was in unserem Leben wächst und gedeiht, prägt so, dass wir es gerne weitergeben wollen an andere. Und zwar nicht allein, sondern in einer vielfältigen und bunten Gemeinschaft. Geschmack des Guten – Geschmack der Güte auch durch andere und für andere!

Erntedank. Gott sei Dank!

Meike Hirschfelder
Referentin für Schulseelsorge am RPZ Heilsbronn

September 2023

Was ist HEILIG?

Heiliger Geist, heilige Familie, heiliges Abendmahl. In unserer Religion gibt es ja so manches HEILIGE. Aber was ist denn HEILIG?

Meine Zweitklässler erklären es so:

Wenn etwas heilig ist, gehört es zu
Gott und hat etwas mit Liebe zu tun.
Heilig, das heißt wichtig,
schön, kraftvoll.
Die Farben, die am besten zu HEILIG passen,
sind rot, gelb oder weiß.
Das Gegenteil von heilig ist
traurig, böse, mutlos, hart.

Meine Schüler*innen bringen das "HEILIGE" ganz selbstverständlich mit dem Göttlichen in Verbindung ... klar, das liegt im Reliunterricht ja auch nahe.
Aber: Alle Menschen haben wohl Dinge, die ihnen heilig sind - ob sie Christen sind oder eine andere Religion oder keine haben. Als hochsensiblen Wesen mit einem langen Gedächtnis liegt es in unserer Natur, Ereignisse, Gegenstände, Situationen und Erinnerungen mit Gefühlen zu verbinden, die ihnen Bedeutung geben. Wenn etwas eine besonders wichtige Bedeutung hat, dann wird es uns HEILIG.

Unter #dasistmirheilig finden sich dazu tausende Beispiele.

Bilder von Beziehungen, schönen Orten, dem geliebten Haustier, der Lieblingsband, dem eigenen Handy, der Tasse Kaffee am Morgen, vom Fußball, der Playstation, dem Nutellaglas, dazwischen auch mal vom Altar der Heimatkirche und – grade aktuell – vom Kirchentag.

Was einem Menschen heilig ist, charakterisiert ihn ein Stück, zeigt, was sein Leben ausmacht, was ihm gefällt, gut tut, woran er hängt und was er glaubt.

Gute Freunde wissen voneinander, was dem anderen HEILIG ist. Und beim Nachdenken über sich selbst, hilft der Blick auf die eigenen HEILIGKEITEN, sich über Prioritäten klarzuwerden: Was macht ich aus, was prägt mein Leben, ist mir wichtig?

Vielleicht fühlen Sie sich inspiriert, Ihr HEILIGES zu erforschen und den Hashtag #dasistmirheilig um Ihre Geschichte zu erweitern.

Sarah Schäfer
Ausbildung der Religionspädagog*innen

August 2023

"Jetzt ist die Zeit!" ... - ... für URLAUB!

Am Lago Maggiore (Tessin/Schweiz)

"Jetzt ist die Zeit!", so lautete das Motto des diesjährigen Evangelischen Kirchentags in Nürnberg. Da war für Vieles Zeit: für Klimaschutz, für Zuwanderung und die Flüchtlingssituation, für Friedensgedanken und Solidarität mit der Ukraine, für Inklusion und Bildung, für Diakonisches Lernen und Musik. Ich könnte noch zahlreiche weitere Bereiche aufzählen, die diskutiert oder um die gerungen wurde. Gemeinsam war den meisten, dass sie zum aktiven Tun aufriefen oder animieren sollten. 

Aber es gibt auch ein "Jetzt ist die Zeit!" zum passiv sein. Passivität hat durchaus seine guten Seiten: Entspannung, Relaxen und Chillen laden zum Kraft tanken und zur Erholung ein. Die Urlaubszeit, so wie sie jetzt ist, soll die persönlichen Akkus wieder aufladen, die gerade meistens ziemlich leer sind. "Jetzt ist die Zeit!" um das zu tun, was man sich schon länger vorgenommen hat: Verreisen, ein gutes Buch lesen, ins Freibad gehen, Wandern und so manches mehr ...

Nützen wir die Zeit für uns ganz persönlich. Finden Sie und ich erneut eigene Kraftquellen, die uns nach dieser Zeit wohlgemut, fröhlich und aufgetankt in unseren Arbeitsalltag starten lassen.

Ich wünsche Ihnen eine inspirierende, erfüllte und entspannende Urlaubs- und Sommerzeit!

"Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt ..." - Sonnenuntergang neben der Insel Capri

Bleiben Sie behütet!

Ihre Sabine Schwab
Referat Real- und Wirtschaftsschulen

Fotos: Sabine Schwab

Juli 2023

Da berühren sich Himmel und Erde ...

Wo sich Himmel und Erde berühren,
da ist Raum für das Leben mit all seinen unterschiedlichen Schattierungen.
Wo sich Himmel und Erde berühren,
da kommen ganz unterschiedliche Perspektiven zusammen und bereichern sich.
Wo sich Himmel und Erde berühren,
da begegnen sich die Vision in der Weite des Himmels
und das Gewiesen-Sein auf die Erde, unser Handeln im Hier und Jetzt.

Oder fromm ausgedrückt: Wo Himmel und Erde sich berühren, da steht unser Handeln unter der Zusage des Segens Gottes, dem Schutz Gottes und seiner Kraft zum Guten. Und diese Zusage gilt so weit der Himmel ist und so weit die Wolken gehen – so drückt es bildlich der Verfasser des Psalms 36 aus.

So weit der Himmel ist und so weit die Wolken gehen ...
Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal Zeit gefunden haben – einfach in den Himmel zu schauen und die Bewegung der Wolken zu bewundern ...
Mit dem Gefühl: Hier haben meine Träume einen guten Platz und unter diesem Himmel bin ich mit meinem Fühlen, Denken und Handeln gut aufgehoben.
Auf jeden Fall tut es gut sich diesen Blick zum Himmel zu gönnen ...
So weit der Himmel ist ... Das ist ein gutes Bild für Weite, für Bewegung, für freie Entfaltung. Ein Bild für die Weite, die gerade pädagogisches Handeln umfasst – voller Begegnungen und Entdeckungen.

Aber Weite, allzu große Weite, kann auch verunsichern. Oft liegt ein weites Feld von Aufgaben vor uns und es ist nicht leicht, alles zu bewältigen.
Zu einem weiten Erfahrungsraum gehören auch Höhen und Tiefen.
Um seinen guten Ort zu finden braucht es nicht nur vielfältige Möglichkeiten, sondern auch Schutz, einen festen Halt. Der Psalm 36 beschreibt dies wieder mit einem schönen Bild, er spricht von den Schatten der Flügel Gottes, unter dem Menschenkinder Zuflucht haben.

Ein Bild, das mich sofort anspricht – die Flügel Gottes, die schützend über uns stehen.
Sie sind da, wenn es mal wieder nicht leicht im Leben ist, wenn veränderte Sichtweisen uns fordern, wenn wir sicheren Halt brauchen oder wenn es darum geht sich mit eigenen Ideen und Gedanken einzubringen – auch da braucht es einen geschützten Raum.

Unter dem Schatten der Flügel Gottes ... das ist ein wunderbarer Begriff für einen Ort, wo sich Menschen entfalten können. Das ist ein Ort, wo sie geborgen sind und der ihnen die nötigen Räume eröffnet, die Freiheit lässt um zu entdecken, was für ihr Leben wichtig ist.

Beides, die Weite und den Schutz der Flügel, brauchen wir um uns auf unterschiedliche Wege einzulassen, Umwege und Irrwege zuzulassen und damit gute Wege zu finden. Immer wieder berühren sich dabei Himmel und Erde, ist das Handeln im Hier und Jetzt bewegt von Träumen und Visionen, finden wir Halt und Flügel.

So wünsche ich uns allen den Weitblick des Himmels, die Achtsamkeit für das Naheliegende und den Blick der Wertschätzung für die Menschen um Sie herum, 
die Freude am Leben und den Schutz der Flügel Gottes.
Sie sollen uns in unserer Arbeit und unserem Leben immer wieder beflügeln, dass wir mit Engagement und Begeisterung angehen, was gerade wichtig ist, was uns und anderen gute Möglichkeiten eröffnet.

Susanne Menzke
Referat Frühe Bildung

Juni 2023

Eine alte Geschichte, neu gelesen

Es waren einmal zwei Menschen, Kaala und Myrthe, nein – nicht nur zwei Menschen, sie waren Schwestern – noch mehr: Sie waren sogar Zwillinge. Von denselben Eltern erzogen, im selben Haus aufgewachsen und unter demselben Stern geboren. Sie wurden erwachsen – schöne und kräftige Menschen.

Aber trotzdem waren die beiden sehr verschieden. Myrthe liebte die Tiere und wurde eine Tierzüchterin. Kaala dagegen bebaute den Acker, pflanze, säte und erntete die Früchte des Feldes. Beiden ging es gut – und trotzdem fragte sich Kaala immer wieder, ob sie gut genug sei. "Hat es Myrthe nicht besser getroffen? Mache ich meine Arbeit gut genug? Lieben unsere Eltern mich genauso wie meine Schwester?“

Und so kam es, dass die beiden Menschen eines Tages Gott ein Opfer brachten. Aber in Kaala wuchs die Gewissheit: "Myrthes Opfer ist besser, sogar Gott schaut auf sie wohlwollender als auf mich. Ich möchte im Boden versinken.“ Und in ihrem Herzen regte sich Scham und Hilflosigkeit, sie schlug die Hände vors Gesicht und senkte ihren Blick. Sie lief weg von dem Ort des Opfers und verbarg sich hinter einer dichten Hecke. Langsam wandelte sich die Beschämung in Ärger und Wut, sie ballte die Fäuste. Da war ihr, als ob sie eine innere Stimme fragen würde: "Warum stehst du nicht aufrecht und blickst nach oben? Was nimmt dir den Atem? Sei achtsam, die Sünde lauert vor der Tür! Beherrsche dich und lasse sie nicht herein.“ Und sie wusste, dass Gott zu ihr gesprochen hatte.

Da wandte sich Kaala zu ihrer Zwillingsschwester. "Lass uns ein Stück zusammen gehen und reden.“ Und sie kamen auf Kaalas Felder, und dort erhob sie sich, stand aufrecht da, griff nach einem Stein und schlug auf Myrthe ein, bis sie tot am Boden lag.

Kaala eilte fort, so schnell sie konnte. Aber da war wieder die Stimme in ihr – die Stimme Gottes. "Wo ist deine Schwester?“ Kaala erwiderte: "Soll ich ihre Hüterin sein?“, und sie wollte fortfahren und alles erklären, ihre Scham, ihre Hilflosigkeit und, und, und

Aber Gott sprach: "Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deiner Schwester schreit zu mir von der Erde. Warum hast du der Sünde das Tor geöffnet? Du hattest die Wahl. Aber nun musst du fort und flüchtig sein auf der Erde.“ Kaala sank zusammen. "Meine Schuld ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. Und wenn ich schutzlos und ohne Heimat bin, wird man mich totschlagen.“

Aber Gott sprach zu ihr: "Nein, die Schuld ist schwer, aber du musst sie tragen. Ich eröffne dir einen Weg in einem anderen Land, aber jenseits von Eden. Auch dort bist du immer unter meinem Schutz.“ Gott machte ein Zeichen an Kaala, damit alle sehen konnten, dass sie unter seinem Schutz stand. Er blickte ihr noch lange nach, nachdenklich und voll Sorge. Aber auch voll Hoffnung, dass sie in Zukunft lernt, über die Sünde zu herrschen – so wie er es ihr zugedacht hatte.

Eine Geschichte, ganz am Beginn der Bibel, die uns Menschen die Kraft zutraut, über Anfechtungen und Versuchungen zu herrschen. Die uns zutraut mit Gefühlen von Benachteiligung, Beschämung und Wut umzugehen, ohne uns gegenseitig tot zu schlagen. Aber trotzdem ist die Geschichte so realistisch, dass sie davon erzählt, dass die Gefahr stets vor der Tür lauert und dass Menschen zu unvorstellbarer Grausamkeit fähig sind.

Eine Geschichte, die von einem Gott erzählt, der uns in die Verantwortung für unser Handeln ruft, der aber gleichzeitig Wege eröffnet, wenn Menschen schuldig werden, und uns auch dann nicht allein lässt.

Sie kennen diese Geschichte als den Brudermord von Kain und Abel – aber wie fühlt sie sich an, wenn die Protagonisten Frauennamen tragen?

Ulrich Jung
Referat Förderschulen

Sehr lesenswert ist die Interpretation zu dem Text bei Claas Huizing (2022): Lebenslehre. Eine Theologie für das 21. Jahrhundert, München, S. 111-118.

Mai 2023

Der Traum vom Fliegen

Sich einfach in die Lüfte heben, sich vom Wind tragen lassen, die Welt von oben sehen und über den Wolken die Freiheit spüren. Das sind uralte Menschheitsträume. Hinter diesem Traum steht vielleicht neben dem wunderbaren Gefühl der Schwerelosigkeit auch die Hoffnung, dass ich hoch in den Lüften all das hinter mir lassen kann, was auf dem Boden beschwerlich und belastend ist.

Heute erscheint die Fliegerei so alltäglich, dass ich manchmal vergesse, wie kurz dies den Menschen überhaupt erst möglich ist. Und es brauchte den Mut und den Erfindungsgeist neugieriger Menschen, damit wir heute abheben können.

Einer der großen Pioniere dieses Traums ist Otto Lilienthal. Am 23. Mai 1848, also vor genau 175 Jahren, wurde er in Anklam geboren. Mit seinem Namen ist die Fliegerei eng verbunden. Und seine Fluggeräte sind die Vorläufer unserer Flugzeuge. Er war ein präziser Beobachter der Vogelwelt und lebte den Traum, es diesen gleich zu tun und sich in die Lüfte zu heben. Dass er dabei immer wieder Bauchlandungen im wahrsten Sinn des Wortes erlebte, gehörte zu seinem Tüfteln. Und dass er am Ende nach einem Flugunfall mit erst 48 Jahren ums Leben kam, ist ein tragischer Moment dieses Traumes.

Warum ich an Otto Lilienthal denke? Vielleicht liegt es daran, dass gerade der Mai der Monat ist, der so viel an Aufbruch und Neuanfang spüren lässt. Es braucht Mut, sich auf neue Wege zu begeben. Es braucht ein anspruchsvolles Ziel, damit dies dann auch gelingen kann, manchmal ganz anders, als am Anfang erwartet. Und am Beginn steht, wie so oft, ein Traum, den Lilienthal am Ende seines wegweisenden Buches zum Vogelflug beschreibt:

"An jeden, dem es eingeboren,
Dass sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt,
Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt,
und über Flächen, über Seen
Der Kranich nach der Heimat strebt.!

In diesem Sinne: Einen Mai mit vielen Träumen, Aufbrüchen und neuen, spannenden Erfahrungen.

Hans Burkhardt
Stellvertretender Direktor
Regionalstelle Unterfranken

Bild 1) Foto: A. Regis, Public domain, via Wikimedia Commons
Bild 2) Foto: Neuhaus/Fülleborn, Public domain, via Wikimedia Commons

Zitat: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889. S. 184 

April 2023

"O Welt, sieh hier: Dein Leben ..."

Fangen wir behutsam an, und keine Sorge: Wir enden mit der österlichen Freudenzeit.
Aber dazwischen wird’s leiden-schaftlich, denn es geht um Passion.

Frühlingsgefühle contra Passionsfrömmigkeit

Was meinen Sie?
Ist Passionsfrömmigkeit "out"?

Die wenigstens trauen sich das Thema Passion im Unterricht zu.

Schon das ungünstige Timing: Im Frühling!
Alle Welt sehnt sich nach Licht, Sonne, Wärme, Eis und einem Latte Macchiato in der Fußgängerzone. Wer mag da "Die Passionszeit" unterrichten?

Positionierung an Triggerpunkten

Schwer vermittelbar, dieses Nachdenken über einen Jesus und seinen Weg ans Kreuz.
Schuld, Sünde, Buße, Reue, Scheitern, Versagen, Verrat und Schmerz, Qual, Sterben – bitte nein! Nicht so geballt, nicht derart plakativ, plastisch und unausweichlich.

Spätestens bei den Passionsliedern sperrt sich alles.
Schülerinnen und Schülern daran Teilhabe ermöglichen? Wozu?

Wer würde eine vertiefte Auseinandersetzung wagen mit den Beweggründen eines Paul Gerhardts?
Der schrieb 1647 das Lied: "O Welt, sieh hier, dein Leben" – und darin (EG 84,3) die Strophe:

"Ich, ich und meine Sünden,
die sich wie Körnlein finden
des Sandes an dem Meer,
die haben dir erreget das Elend,
das dich quälet und das betrübte Marter Heer."

Das triggert.
Da werden Befindlichkeiten und Prinzipien berührt, die man heraushalten möchte aus dem Religionsunterricht.

Ist es peinlich, dass die Christenheit Jahrhunderte so intensiv mit diesen Bildern lebte? Geht´s darum heutzutage schnell Richtung Ostern wie auf eine sonnige Insel des Schönen, des Heils …

Doch der christliche Glaube ist kein Heile-Welt-, sondern eine welt-heilende Botschaft
Und was muss geheilt werden? Wunden!

Wo, wenn nicht im Religionsunterricht, ist in der Schule Raum, über "Wunden" zu reden, über das, was weh tut, brennt, woran es krankt?

Provokation mit Passion

Wenn eine Klasse befähigt wird, Paul Gerhardt auf heute für sich zu übertragen, dann kann das so klingen:

"Wir, wir und unser Leben,
das mit den Klimasünden
die ganze Welt bedroht,
die haben es erreget,
das Elend, das nun quälet,
wenn die Natur verfällt in Not!"

Seit Jahren schon versuchen junge Menschen, die Welt aufmerksam zu machen.
Sie provozieren leidenschaftlich.

Sie kleben sich fest und erregen Ärgernis und Unverständnis, um Augen zu öffnen und Verständnis zu wecken:
Aktionen wie “Fridays for future” sind ein modernes "O Welt, sieh hin!"

Seht hin, all ihr Satten, Sicheren, Euch-selbst-Rechtfertigenden, Selbstzufriedenen, Unreflektierten, Nach-uns-die-Sintflut-Konsumierenden, ihr Helikopter-Eltern, die nur fürs eigene Kind das Beste wollen und sonst neidisch und gnadenlos die Ellenbogen ausfahren …

Wir wollen, dass ihr Euch schuldig fühlt, damit ihr umkehrt: Wacht auf!
Bekommt Angst vor den Konsequenzen Eures Tuns, all Eurer Sünden und Eures völlig fehlgeleiteten Daseins: ja, zahllos sind sie, wie Sandkörner am Meer.

Die Passion passt besser zu dieser Generation als Häschen, Ostereier und Blumenschmuck.
Passionsfrömmigkeit kann ebenso in die Gegenwart übersetzt werden wie all unsere anderen religiösen Inhalte:

Die Bilder vom Karfreitag: Wie die Sonne ihren Schein verliert, die Erde bebt – das sind Imaginationen fürs Donnergrollen unserer Zeiten, die sich nicht frühlingshaft anfühlen, sondern überschattet von einer neuen, überaus irdischen, überaus Jesus-losen, aber weltumspannenden Passion, die der kommenden Generation überlassen wird, die sich nicht ohne Grund als "Letzte" empfindet:

Religionsunterricht contra Zeitenwende

"Zeitenwende". Ist womöglich bald vorbei, was die Boomer und Alten noch an Frieden und Freiheit genießen konnten?

Gab es schon einmal eine Erwachsenengeneration, die nicht mehr davon ausging, dass es die Kommenden einmal besser haben sollten und nicht mehr bereit war, sich dafür aufzuopfern (oder wenigstens empfindlich einzuschränken)?
Die Rede von der "Zeitenwende" ist der nachfolgenden Generation gegenüber zynisch und unfair.

Zu den Sorgen um Natur und Lebensgrundlagen kommen geballt die Sorgen angesichts von Kriegstreiberei und einer Gefährdung von Frieden und Recht…

Wie sollen die Kinder und Jugendlichen mit den Herausforderungen, die sie sich nicht selbst eingebrockt haben, umgehen, wenn wir ihnen nicht einmal mehr die nötigen Ressourcen und die nötige Bildung an die Hand geben, weil Lehrkräfte fehlen und Niveaus gesenkt werden, weil´s Unterrichten schwer geworden ist?

Für den Christlichen Glauben steht es dem Menschen (Gott sei Dank!) nicht zu, Zeitenwenden zu initiieren.

Für die Christenheit ist die Zeitenwende ein für allemal bereits geschehen: In Jesus Christus, und darum schreiben wir mit gutem Grund: Das Jahr des Herrn, Anno Domini 2023.
Er ist A und O, Anfang und Ende, hält in Händen, was wir nicht fassen können.

Das hat enorme emanzipatorische Kraft und löst aus dem normativen Faktenschaffens des Zeitgeschehens:

Die christliche Botschaft ist nie der Alternativlosigkeit und dem Scheitern und den Verlusten ausgeliefert, sondern tut Perspektiven auf, grade, weil sie sich dem stellt, was schmerzt und brennt! Im Religionsunterricht bilden wir diese Weltsicht.

Passion im Unterricht für die kommende Generation

Da sind Bilder, die öffnen, Geschichten, die Sprache bieten.

  • Ein Christus, ausgeliefert seinen Feinden, ist nicht nur ein Sinnbild für die Ohnmacht aller Leidenden.
  • Sein konkretes Schicksal nachempfinden, rüttelt auf im Hier und Jetzt.  Die Kinder beginnen zu reden über das, was sie beschäftigt: Die namenlosen Zahlen von Menschen in Flucht und Vertreibung, in Krieg und Qualen.
  • Ein Gekreuzigter der Geschichte hat einen Namen, eine Familie und Freunde – das macht sensibel dafür, dass jedes Opfer ein echter Mensch ist, wert, genauso ernst genommen zu werden, wie dieser Mann aus Nazareth.

Neu übersetzt in unsere Zeit und in unser Unterrichten heißt das:

Der Passion im Unterricht begegnen, das ist eine überaus subjekt-stärkende, handlungs-aktivierende, gewissens-bildende Sensibilitätsübung:

  • Kann ich mich einfühlen in fremdes Leid, so sehr, dass ich mich damit solidarisiere?
  • Wofür bin ich bereit, das Leben eines anderen zu verraten? Wie viele Silberlinge ist´s mir wert?
  • Was lässt mich einknicken, wenn ich eigentlich bekennen möchte und müsste?

Die Passion führt zeitlos zu Positionierung: Wo stehe ich?

  • Auf der Seite der Schläger?
  • Auf der Seite derer, die wegschauen?
  • Auf der Seite der Spötter? Bei den Schaulustigen?
  • Bei denen, die sich aufregen und empören, aber sonst nichts tun?
  • Oder bin ich solidarisch mit denen, die weinen?
  • Den Ohnmächtigen, deren Liebe nichts ausrichten kann gegen die Bosheit und Gewalt und Übermacht der anderen, die töten wollen, was von Frieden, Barmherzigkeit, Güte und Versöhnung spricht?

Wenn wir im Unterricht und in den Gemeinden die Passionszeit begehen, sind wir mittendrin in dem, was fürs Leben bedeutsam ist.
Und damit ist dann Zeit für Ostern.

Pfarrerin Katharina Kemnitzer

 

März 2023

Hab' ein Herz! - Variationen zu Jesaja 58,6-12

Eine sagt:
Ich bin ständig hungrig.
Wenn ich hungrig bin, kann ich nicht lernen.
Wenn mein Magen knurrt, kann ich keinen Sport machen.
Wenn ich essen will und es nichts gibt, werde ich traurig oder wütend.
Immer bin ich hungrig. Das ist doch kein Leben.

Einer sagt:
Andere zeigen mit dem Finger auf mich. 
Sie machen sich über mich lustig. 
Sie verbreiten Lügen über mich.
Das tut so weh.
Es verletzt mich. Ich fühle mich hundeelend.
Dass sie mich so behandeln, ist doch nicht fair.

Eine sagt:
Unser Dorf ist zerstört. Alles liegt in Trümmern.
Unser Haus ist kaputt.
Wir haben kein Dach mehr über dem Kopf, keine Küche, kein Zimmer, nichts mehr.
Ich habe kein Zuhause mehr.
So können wir nicht leben.

Gott sagt:
Gib denen zu essen, die Hunger haben.
Hilf denen, die eine schwere Last tragen müssen.
Gib denen ein Zuhause, die heimatlos sind.
Unterdrücke niemanden.
Mach niemanden nieder.
Hab‘ ein Herz!
Dann bist du wie Licht in der Dunkelheit.
Dann bist du wie eine Wasserquelle in der Wüste.    

Text: Gerda Gertz, RPZ Heilsbronn, Foto: Oleg Astakhov

Diese verfremdete und aktualisierte Version von Versen aus Jesaja 58, 6-12 wurde für die Mittelschule geschrieben. Sie dient der Annäherung an den Bibeltext und soll den Einstieg in die Auseinandersetzung mit dem Bibeltext erleichtern.
Den Unterrichtsbaustein für die 9. Jahrgangsstufe, Lernbereich 9.3 "Verantwortung übernehmen – für Gerechtigkeit und Frieden" finden Sie hier.

 

Februar 2023

Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist …
Dieses beliebte Spiel habe ich x-mal mit Kindern, Schüler*innen, Konfirmand*innen, … gespielt. Die Freude, Dinge zu erraten, ist auf beiden Seiten groß – aber im Laufe des Spiels wird es immer diffiziler, zu erraten, was gemeint ist. Ich muss genau schauen, Details wahrnehmen und entdecke Dinge, an denen ich sonst achtlos vorüber gegangen wäre. Und ganz besonders schön ist es, wenn jemand mich sieht, etwas an mir entdeckt, was nicht gleich offensichtlich ist.

Gesehen werden als Sklavin, das hat Hagar in der Wüste auf der Flucht vor ihrer Herrin Sarah nicht erwartet. Gewiss, sie war nicht ganz unschuldig, hatte sich aufgelehnt, Sarah gedemütigt, weil sie schwanger war und Sarah nicht. Sie hatte sich Rechte herausgenommen, die ihr nicht zustanden. Und dann ist es gekippt: Sarah hat Hagar in ihre Schranken gewiesen und sie gedemütigt – wie du mir, so ich dir. Zwei starke Frauen, die nicht nachgeben wollten. Hagar war als Sklavin in der schwächeren Position und hat die Flucht ergriffen. Die Unsicherheit der Wüste scheint ihr besser zu sein als unter Sarah zu arbeiten.
An einer Wasserquelle macht sie Rast, ich stelle mir vor, wie sie erschöpft vom Weg dasitzt. Sie weiß nicht, wohin sie gehen soll und wie sie weiterleben wird. Da sieht sie der Engel Gottes. Dieser Gottesbote spricht sie an, er kennt ihren Namen und fragt: Hagar, Sarahs Magd, wo kommst du her? Wo willst du hin? Diese Fragen können einfach und sehr tiefgreifend sein. Hagar antwortet, dass sie von Sarah geflohen ist. Und der Engel schickt sie zurück, sogar mit dem Auftrag, sich unter Sarahs Hand zu demütigen. Eine echte Zumutung – oder?
Aber dann kommt ein Versprechen dazu: Gott will aus deinen Nachkommen ein Volk machen. Dein Sohn soll Ismael heißen – Gott hört. Gott hat dein Elend gesehen. Da sagt Hagar: Du bist ein Gott, der mich sieht. (Gen. 16,13) Dieses Gesehen-werden ist für Hagar der Schlüssel: Sie fühlt sich gesehen und damit gestärkt und fasst Mut, umzukehren. Sie geht zurück zu Sarah und Abraham, bekommt ihr Kind und nennt den Sohn Ismael. Auf seine Nachkommen, die Ismaeliten, berufen sich bis heute die Muslime. In den ersten Kapiteln der Bibel wird die Auseinandersetzung zwischen Menschen und Völkern wie in einem Brennglas auf die Auseinandersetzung zwischen zwei Frauen erzählt. Es geht um Existenzen und Nachkommen, aber auch und vor allem um das Gesehen werden. Wie oft erleben wir, dass Menschen sich nicht gesehen fühlen und aggressiv werden, Streitigkeiten eskalieren. Hagar geht aus so einer Situation in die Wüste und erlebt im Gehen und Rasten: Gott sieht mich. Diese Erfahrung wünsche ich uns für das Jahr 2023.

Gerlinde Tröbs
(Referate Ganztagsschule / Fortbildung in den ersten Dienstjahren)

Bild: Verlag am Birnbach - Motiv von Stefanie Bahlinger, Mössingen

Januar 2023

Navigationsgerät

Bei meinen vielen Fahrten durch Ostbayern, auf dem Weg zu Schulbesuchen, brauche ich gelegentlich ein Navi. Auf der Karte sehe ich den ungefähren Weg. Die Namen mancher Ortschaften habe ich aber noch nie gehört. Den Weg zur Schule dort kenne ich erst recht nicht. Also gebe ich die Adresse ins Navi ein und fahre los. Manche Ortsverbindungsstraße kommt mir seltsam vor, mancher Zufahrtsweg zu Schulen erst recht. Aber ich verlasse mich auf das Gerät und tatsächlich: Da ist die Schule. Angekommen. Auch, wenn ich den Weg dorthin nicht gekannt habe.

Das erinnert mich an mein Leben, meinen Lebensweg. Wir stehen an der Schwelle zum neuen Jahr und kennen den Weg nicht, den es uns bringt. Klar, ungefähr schon: Die Jahreszeiten, die Feste im Jahreslauf, Daten der Familie.
Aber den genauen Weg, den die kommenden Monate bringen werden, kenne ich nicht.
Da ist Gottes Wort mein Navi: "HERR, Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege." Heißt es im Psalm 109, 105.
Wo auch immer Dinge zu entscheiden sind, Wege an Abzweigungen zu wählen sind, überlege ich: Was ist Gottes Wille? Was würde Jesus sagen oder tun?
Das hat mir schon oft in meinem Leben geholfen. Darum vertraue ich auch im neuen Jahr auf Gottes Führung und hoffe, dass ich immer ans rechte Ziel komme.

Herzlichst Ihr
Uwe Markert
Regionalstelle Niederbayern/Oberpfalz

Dezember 2022

Der Weihnachtswolf

Liebe Leser*innen,

ich möchte Ihnen gegen allen Unfrieden in der Welt eine friedliche Weihnachtsgeschichte erzählen:

Es war in einem Ort weit im Osten, und eines war in diesem Jahr merkwürdig: Die Wölfe, von denen es damals noch viele gab, die waren in diesem Jahr schon viel früher aus den Wäldern gekommen - und es waren auch viel mehr.
In der Heiligen Nacht war eine Menge Neuschnee gefallen. Deshalb brach der Knecht Georg schon gegen zehn Uhr auf, um zur Kirche zu gehen. Zwar hatte er nur eine gute Stunde Wegs, aber er wollte noch einen Umweg machen, am Hof der Knabigs vorbei. Er war nämlich mit dem Knecht befreundet und hoffte, dass der mit ihm ging. Als er dann dort war, lachte der aber nur: "Wir haben Pferde und Schlitten genug. Für uns Leute vom Hof ist Platz - warum sollte ich dann den weiten Weg laufen?“ Auch die anderen lachten über den Georg.
Also ging er allein weiter, traurig und enttäuscht, und nahm die Abkürzung durch den Wald. "Kannst ja eine Rast einlegen, Georg“, sagte er bei sich, und zog sich die Mütze tiefer ins Gesicht. "Bis zum Gottesdienst ist noch gut Zeit. Musst nur gut aufpassen, dass du nicht einschläfst! Bei solcher Kälte ist schon mancher eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.“ Gar nicht mehr weit vom Dorf weg kroch er unter eine große Fichte. Darunter war ein schneefreies Plätzchen. Dort setzte er sich, schlug den Mantelkragen hoch und lehnte sich gegen den Stamm. Traurig dachte er an die anderen, die ihn so ausgelacht hatten. Das klang ihm noch in den Ohren, dieses Lachen. Aber eh er sich’s versah, war er doch eingenickt. Er wäre sicher erfroren, wenn da nicht ... wenn da nicht Folgendes passiert wäre:

Georg schreckte plötzlich auf. Erst dachte er, er sehe ein Gespenst und wurde vor Entsetzen ganz steif. Aber dann erkannte er, dass dicht vor ihm eine Wölfin stand. Die blies ihm ihren warmen Atem ins Gesicht und tappte mit ihrer Pfote auf seinen Stiefel. Die gelben Augen waren keinen Meter vor ihm. Er sah den großen, rostroten Fleck im Nacken der Wölfin. Sie war angeschossen worden, ihr Fell war verklebt und verkrustet. In ihrer Schnauze trug sie - einen kleinen Wolf. Kaum ein paar Tage alt. Weiß der Teufel, warum das Tier so mitten im Winter ein Junges zur Welt gebracht hatte. Sie bettete das Junge ganz vorsichtig in Georgs Schoß, starrte ihn noch ein paar Sekunden an, winselte leise und drückte sich davon.

Allmählich kam Georg wieder zu sich. Erst langsam wurde ihm klar, was da passiert war. Das Wolfsjunge kuschelte sich in seinen Mantel und war ganz zutraulich. Und Georg wusste, dass ihm die Wölfin das Leben gerettet hatte. Er wäre ohne sie erfroren. Nun hatte sie ihm ihr Junges anvertraut. Was blieb dem Georg da anderes übrig - er barg den kleinen Wolf an seiner Brust und rappelte sich auf. Von der Kirche her hörte er die Glocken läuten. Eilig machte er sich auf den Weg. Im Schnee sah er noch die Blutspur der Wölfin, wie eine Kette aus roten Perlen.

Er kam gerade noch rechtzeitig in die Kirche. Aber hinten, da wo er sonst immer seinen Platz hatte, da war alles gestopft voller Männer. Sie schoben ihn immer weiter nach vorn, und so fand er sich schließlich direkt vor der Krippe wieder.

Der Weihnachtsgottesdienst dort in dem Dorf war immer sehr feierlich. Der Pfarrer zog mit den Helfern ein und trug das Jesuskind bis nach vorne, wo die Krippe stand. Er hielt es hoch über seinen Kopf, damit es alle sehen konnten, und sehr behutsam legte er es in die Krippe. Denn erstens war das ja der Gottessohn und zweitens war es aus Gips und könnte leicht zerbrechen. Und wenn er sich dann niederkniete und das Kind in die Krippe legte, sang die Gemeinde.

In dieser Nacht nun, als der Pfarrer das Kind gerade betten wollte, hörte er auf einmal ein sonderbares, leises Jaulen. Er blickte sich um und schaute verärgert. Da hörte man wieder ein kurzes Jaulen, es kam direkt aus Georgs Richtung. Der Pfarrer schaute ihn ganz streng an. In diesem Augenblick streckte der Wolf seinen Kopf aus dem Mantel hervor und leckte dem Georg den Bart. Georg bekam einen großen Schreck. "Jetzt werden sie mich mit Schimpf und Schande aus der Kirche jagen“, dachte er. Aber der Pfarrer dachte in dieser Nacht nicht an sowas. Er legte das Kind in die Krippe, raffte etwas von dem weichen Moos auf dem Boden des Krippenstalles zusammen und flüsterte dem Georg zu: „Gib her das Tierchen!“. Georg gehorchte und der Pfarrer legte den Wolf zu den Lämmern, ganz dicht vor Ochs und Esel. Rundherum brannten die Kerzen und machten’s schön warm im Krippenstall. Dem jungen Wolf gefiel es, er rollte sich zusammen und blinzelte in die Flammen.

Jetzt erst wurde gesungen. Der Kopf des Wolfes war hochgeruckt, als die Orgel und der Gesang anfingen. Aber dann schien es ihm zu gefallen, ja, es klang ähnlich wie fernes Wolfsheulen. Wieder rollte er sich zusammen, fester jetzt noch als zuvor, und schien in Schlaf zu fallen.

Georg blickte aufmerksam zum Pfarrer. Aber was machte der? Er legte seine schön beschriebenen und vorbereiteten Blätter beiseite. Dann blickte er auf den kleinen Wolf, der friedlich neben den Schafen an der Krippe lag und erzählte von dem großen Frieden, der im Paradies geherrscht haben muss. Da hätte kein Wolf ein Lamm gefressen, sondern im Gegenteil mit ihm gespielt. Ja, und dann in der Nacht, in der Jesus im Stall in Bethlehem auf die Welt gekommen sei, auch damals hätten die Hirten ganz ruhig von ihren Herden weggehen können, denn in dieser Nacht, da hätte kein Wolf - der Teufel hätte ihn beim Schwanz gepackt und in die Hölle gezogen - also in dieser Nacht, da hätte kein Wolf ein Schaf gepackt. Georg hörte gespannt zu.

Aber das alles sei nur ein Vorgeschmack von dem großen Frieden gewesen, den Gott den Menschen schenken will – fuhr der Pfarrer fort. Ohne Krieg und Streit, ohne Mord und Gewalt, ohne Hunger und Unrecht. Da würde dann keiner mehr gegen den anderen sein. Denn dann sei endlich Friede - der Friede, den die Juden Schalom nennen und auf den nicht bloß die Menschen, sondern auch die Tiere und überhaupt die ganze Schöpfung so sehr warten. Und dann zeigte der Pfarrer auf den kleinen Wolf, der da ganz friedlich neben dem Lamm lag und schlief. "Und so wollen wir dem Georg heute Nacht danken, dass er uns den Wolf in die Kirche getragen hat. Ein schöneres Bild für den Frieden auf Erden, den die Engel uns verheißen haben, hätten wir wohl kaum finden können."

Als der Gottesdienst aus war, steckte Georg seinen Wolf wieder unter den Mantel. Und jetzt hatte er auf einmal Platz im Schlitten von seinem Freund, und er musste die ganze Geschichte, wie er denn an den Wolf gekommen war, noch in derselben Nacht erzählen. Und auf dem Hof bat ihn die Bäuerin in die gute Stube und  brachte ihm Milch und eine Babyflasche, damit er den Weihnachtswolf aufziehen konnte. Der Bauer aber holte was zum Trinken aus dem Keller und sie tranken auf das Tierchen und stießen wieder und wieder auf den großen Frieden an. Seitdem hat man in der Kneipe in dem Dorf immer seltener "zum Wohle“ oder "Prost“ gehört, dafür immer häufiger "Schalom“, wenn die Männer einander zutranken.

Eine frohe Vorweihnachtszeit

Ulrich Jung
Referat Förderschulen

" />